Gunnar Schade – Satire-Blog Über Gunnar Schade

05.09.2023

Die Staatsanwaltschaft Gießen erhebt Anklage gegen einen ehemaligen KZ-Wachmann. Dem Mann wird vorgeworfen, im Konzentrationslager Sachsenhausen in mehr als 3.300 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben.

Viele Menschen sagen, dieser Mann sei 98 Jahre alt und deswegen „müsse auch mal gut sein“. Die gleiche Forderung war auch zu hören bei dem Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin, die im Dezember 2022 wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen verurteilt wurde (es wurde Berufung eingelegt).

Es gibt mehrere Gründe, deretwegen die Prozesse gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter und KZ-Mitarbeiterinnen berechtigt sind:

1. Mord und Beihilfe zum Mord verjähren nicht. Genauso wenig wie die Leiden der Holocaust-Überlebenden.

2. Nur, weil sich ein Täter bisher nicht vor einem Gericht verantworten musste, darf das nicht bedeuten, dass sich dieser Täter auch fortan nicht vor einem Gericht verantworten muss.

Nach der Argumentation vieler Menschen müsste ein Mörder oder Gehilfe nur lange genug zu Unrecht seiner gerechten Strafe entkommen sein, um deswegen zu Unrecht nicht mehr seine gerechte Strafe zu erhalten.

Da die meisten NS-Verbrechen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht aufgearbeitet wurden, entgingen die meisten Täter ihrer Strafe – sie machten Karriere in der Wirtschaft, Justiz und kriminellen Milieus wie der CDU.

Die richtige Frage lautet nicht, warum jemand jetzt noch wegen seiner Taten in der NS-Zeit angeklagt wird; sondern die richtige Frage lautet, warum jemand jetzt erst wegen seiner Taten in der NS-Zeit angeklagt wird.

3. In den Jahrzehnten nach der NS-Zeit konnten die meisten KZ-Mitarbeiter nicht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden; laut der damals geltenden Rechtssprechung hätte man ihnen dazu konkret nachweisen müssen, welche Morde sie ermöglicht und begünstigt haben.

Der Bundesgerichtshof änderte jedoch schließlich das Gesetz. Die Begründung: Die willigen und gehorsamen Untergebenen waren die Voraussetzung dafür, dass den verantwortlichen Nazis ein derart organisierter und strukturierter Tötungsapparat für ihre Massenmorde zur Verfügung stand.

Aus diesem Grund können nunmehr KZ-Mitarbeiter und KZ-Mitarbeiterinnen wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden.

Wer dagegen ist, dass sich Menschen geraume Zeit nach ihrem Mitwirken an Naziverbrechen verantworten müssen, der sollte dafür sorgen, dass es fortan keine Naziverbrechen mehr gibt.

Die Politik der AfD bietet dazu reichlich Anlass.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Blog

Diesen Betrag teilen:

Facebook Twitter
Abonnieren
Zurück