Gunnar Schade – Satire-Blog Über Gunnar Schade

07.05.2022

Fast zwanzig Prozent der Deutschen glauben an Verschwörungsmythen zum Krieg in der Ukraine; denn – so die Schwurbler – die Realität muss endlich lernen, sich nach ihren Meinungen zu richten.

Seitdem der Krieg in der Ukraine die Corona-Pandemie als Hauptthema in den Nachrichten abgelöst hat, haben die Schwurbler neue Verschwörungsmythen erfunden: Dass die USA in der Ukraine geheime Labore besäßen, darin Coronaviren heranzögen und deswegen auf der Seite der Ukraine stünden, ist eine der irren Behauptungen der Putin-Anhänger und Internet-Trolle. Die Bezeichnung „Troll“ leitet sich in diesem Zusammenhang davon ab, dass sich bei diesen Menschen der Verstand getrollt hat.

Ein anderer Mythos lautet, Putin würde Frieden wollen und zu Unrecht kritisiert werden. Jemand, der Menschen wegen ihrer Homosexualität diskriminiert und verfolgen lässt, die Parlamentswahlen in seinem Land manipuliert, die Verfassung zugunsten seines Weiterregierens ändert, die Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückt, Oppositionelle ermorden oder einsperren lässt und ein Land angreift, würde also als Friedensaktivist verkannt und zu Unrecht kritisiert werden, so die Ansicht der Schwurbler.

Wenn Schwurbler behaupten, sie würden sich gegen die Manipulation ihres Verstandes wehren, dann ist das so, als behaupteten Nilpferde, sie würden sich gegen die Manipulation ihrer Flügel wehren.

Zahlreiche Menschen in Deutschland glauben weiterhin, viele Politiker in der Bundesregierung wären Echsen. Das ist ebenfalls Unsinn. Auch wenn Olaf Scholz und Robert Habeck zu den Kriechtieren zählen.

Unbestritten ist, dass die sogenannten Friedensmissionen der NATO so sinnvoll waren wie eine mit Farbbeuteln behängte Handgranate zum Streichen der Wohnzimmerwände.

Unbestritten ist auch, dass für US-Präsidenten bei US-Auslandseinsätzen humanistische Gründe die gleiche Bedeutung haben wie ein Diätplan für Pauschaltouristen an einem All-you-can-eat-Buffet.

Nichts davon rechtfertigt jedoch die Tatsache, dass Putin unter scheinheiligem Vorwand ein Land angegriffen hat und dort Menschen töten, vergewaltigen und deportieren lässt.

Die Realität ist komplex; und besonders in einer Zeit, in der Menschen neuen schwierigen Herausforderungen wie einer Pandemie, dem Klimawandel und einem Krieg unweit des eigenen Landes gegenüberstehen, suchen viele Menschen einfache Antworten.

Diese Menschen sehnen sich nach einem Schwarz-Weiß-Bild – dergestalt, dass sie vermeintlich auf der Seite des Guten gegen das übermächtige Böse kämpfen.

Aus diesem Grund protestieren die Schwurbler auch prinzipiell gegen alles, was die Bundesregierung beschließt. Ihr Motto lautet: aus Prinzip dagegen. Viele Schwurbler würden aus Prinzip auch dagegen protestieren, wenn die Bundesregierung für die Bürger gerechte Löhne, faire Mieten und bessere Lebensbedingungen beschlösse.

Zudem haben Schwurbler das erhabene Gefühl, es besser zu wissen als die meisten anderen – es besser zu wissen als Isaac Newton, der angesichts eines fallenden Apfels die Schwerkraft entdeckt haben will und dabei übersehen hat, dass eine Pflaume wie Friedrich Merz aufsteigt.

Schwurbler sind Menschen, die als Schulkinder ihrem Mathelehrer zugerufen haben: „Dass eins plus eins zwei ergeben soll, ist doch nur Mainstream!“ – … und sich auch vierzig Jahre danach im Recht fühlen, weil sie merken, ein Verschwörungsmythos plus noch ein Verschwörungsmythos ergeben nicht zwei, sondern dreitausend neue Freunde auf dem Telegram-Kanal.

Natürlich ist es prinzipiell richtig, nicht alles zu glauben und Dinge zu hinterfragen. Aber die einzigen Dinge, denen Schwurbler bisher erfolgreich auf den Grund gegangen sind, waren Schnapsflaschen.

56 Prozent der Menschen, die Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie glauben, glauben auch Verschwörungsmythen zum Krieg in der Ukraine. Dafür ändern die Schwurbler auch ihre Vorurteile: Menschen, für die ein Russe bis zum Krieg in der Ukraine nur die Maßeinheit für die Lautstärke und Trunkenheit eines Touristen war, sympathisieren nun mit den Russen wegen deren vermeintlichen Kampfes gegen ein Nazi-Regime.

Diese flexible Moral der Schwurbler und Putin-Anhänger, deren Anteil unter AfD-Wählern am größten ist, offenbart sich auch in anderen Fällen: Menschen, für die Juden ansonsten auch daran schuld sind, dass Opa ständig viele Überstunden als Aufseher machen musste, entdecken angesichts von Arabern, die in Deutschland gegen Israel demonstrieren, den Schutz jüdischer Menschen plötzlich als scheinbar berechtigten Vorwand, dessentwegen man alle Araber endlich des Landes verweisen müsste.

Die Yoga-Figur, die die größte Flexibilität verlangt, heißt aus gutem Grund „der sein Feindbild anpassende Schwurbler“.

Wenn die Schwurbler ihrer Fantasie freien Lauf lassen möchten, dann sollten sie sich mal Gedanken darüber machen, wie man Kriege fortan verhindern kann.

Und wenn die Schwurbler Unwahres aufdecken und Unsinniges hinterfragen möchten, dann sollten sie mit etwas ganz Einfachem und Schlichtem anfangen: sich selbst.

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