Gunnar Schade – Satire-Blog Über Gunnar Schade

12.08.2019

Auch dieses Jahr reisen wieder viele Deutsche in den Urlaub (vierter Teil zum Thema Urlaub):

1. Urlaubstag:

Silke und Bernd fliegen mit ihren beiden Kindern nach Mallorca. Silke stellt während des Fluges fest, dass ihre Flugangst unberechtigt ist: Sowohl wegen der Bordverpflegung, die serviert wird, als auch wegen der Passagiere, die während des Fluges lauthals Ballermann-Hits singen, wird aus der Angst vor einem Absturz eine stille Sehnsucht.

Und die Gefahr von Flugzeugentführungen wird überschätzt. Während viele Touristen Angst vor Terroristen haben, haben potentielle Terroristen viel mehr Angst vor Touristen.

Silke schimpft mit ihrem Mann. Sie wirft ihm vor, er habe sich mit seinen Freunden am letzten Abend vor dem Urlaub sinnlos betrunken. Daraufhin erklärt Bernd seiner Frau: „Wir haben uns nicht sinnlos betrunken. Von der Alkoholsteuer werden – wie auch von anderen Steuern – öffentliche Ausgaben bezahlt. Und ich habe mit meinen Freunden an diesem Abend ein Theater gebaut.“

Silke fragt ihn, ob er mit seinen Freunden nach dem Urlaub wieder trinken werde. Bernd antwortet: „Natürlich. Außer Theatern brauchen wir doch auch neue Autobahnen.“

2. Urlaubstag

Silke und Bernd empfinden das Benehmen der anderen Touristen als katastrophal: Es ist peinlich, wie all die anderen am Buffet drängeln, während sie und ihre Kinder sich ruhig und besonnen zehn Minuten vor der Eröffnung des Buffets riesige Portionen auf ihre Teller packen.

Noch unverschämter als die anderen Touristen sind nur die Preise in dem Hotel. Ein Hawaii-Cocktail wird ohnehin überschätzt. Aus einem Glas voll Zuckerwasser wird kein wertvoller Longdrink, nur weil man es mit einem Hawaii-Schirmchen verziert. Wenn man eine Kelle Mörtel mit einem Lego-Bauhelm verziert, dann wird daraus auch kein gemütliches Wochenendhaus.

Oder Kaviar: Unbefruchtete Eier vom Stör-Weibchen – aber so teuer, als würde man jedes Ei mit einem U-Boot einzeln aus dem Meer holen.

Sogenanntes Gourmet-Essen ist zwar teuer, aber dafür schmeckt meist gar nicht besonders. Und sogenannte Delikatessen werden meist in winzigen Portionen serviert: Gourmet-Essen respektive Delikatessen erkennt man daran, dass man beim Anblick der gerade servierten Speisen glaubt, das wäre ein Sehtest.

Silke und Bernd stellen fest, dass das Hotelpersonal mehrere Sprachen beherrscht: Wenn man noch ein Glas Wein trinken möchte, das so viel kostet wie das Schloss von Versailles, dann spricht das Personal sehr gut Deutsch. Wenn man ein Handtuch reklamieren möchte, das so alt ist wie das Schloss von Versailles, dann spricht das Personal Gagausisch.

Das ist also der Urlaub, auf den Silke und Bernd im Büro das ganze Jahr fleißig hingeträumt haben.

Silke und Bernd haben auch mit ihren Kindern Stress. Die beiden Kinder streiten und quengeln ständig. Da Silke und Bernd Beamte sind, lassen sie sich Aktenordner ins Hotelzimmer liefern und legen diese vor sich auf den Tisch – jetzt kehrt das gewohnte Urlaubsgefühl ein.

3. Urlaubstag:

Silke und Bernd verstehen nicht, warum sich andere Touristen über besetzte Poolliegen aufregen. Sie beide liegen einfach in aller Ruhe von früh bis spät darauf.

Früher haben Deutsche andere Länder mit Hilfe von Panzern besetzt – heute mit Handtüchern.

Angesichts dessen, wie sich viele Deutsche eine Poolliege mit einem Handtuch sichern, wäre es nicht verwunderlich, wenn Deutsche fortan auch ein Handtuch auf ihren Arbeitsplatz legen.

4. Urlaubstag:

Am Vormittag besuchen Silke und Bernd einen Tanzkurs. Bei diesem Tanzkurs lernen die beiden, im Viervierteltakt um Verzeihung für versehentliche Fußtritte zu bitten und als Paar rhythmisch über Hexenschuss zu jammern.

Wegen der Rückenschmerzen und blauen Füße bleiben Silke und Bernd den restlichen Tag auf ihrem Zimmer und erinnern sich an die vergangenen schönen Urlaube, die sie damals als schrecklich empfunden haben:

Um sich einen Traum zu erfüllen, haben sie letztes Jahr eine Reise nach Rom unternommen. Allerdings waren sie sehr enttäuscht – sie werden erst wieder nach Rom fahren, wenn das Kolosseum fertiggestellt ist.

Auf ihrer Urlaubsreise durch Italien haben sie das weltberühmte Turiner Grabtuch erwerben können. Und der Straßenhändler vor dem Turiner Dom hat ihnen garantiert keine Fälschung verkauft. Dieser Straßenhändler war ein ehrlicher und seriöser Geschäftsmann; deswegen verkaufte er von dem Turiner Grabtuch auch schon dreitausend Stück.

Ihren vorletzten Urlaub haben Silke und Bernd in Frankreich verbracht. Die Einheimischen geben sich überhaupt keine Mühe, sich auf die Menschen aus anderen Ländern einzulassen. – Egal, wen man auf Deutsch anspricht, alle Franzosen bleiben bei ihrer Muttersprache.

Vor drei Jahren haben sie eine Rundreise durch die USA absolviert und waren auch in Las Vegas. Dort gibt es durchaus viel zu sehen – aber die Einrichtung von Caesars Palace ist historisch sehr ungenau nachempfunden.

5. Urlaubstag:

Silke und Bernd unternehmen mit anderen Touristen eine Wanderung und durchstreifen die Wälder der Insel. Der Umstand, dass viele Touristen diesen Wäldern nichts abgewinnen können und die Wälder in anderen Ländern preisen, ist kein Problem: Die Urlauber, die lieber deutsche Wälder mögen, werfen bei der Wanderung einfach genügend Müll weg.

Und diejenigen, die lieber den brasilianischen Regenwald mögen, brennende Zigarettenstummel.

Dank der vielen deutschen Urlauber ähnelt die einheimische Vegetation bereits sehr der deutschen Vegetation: Es gibt auf dieser Insel indes den Cola-Büchsen-Baum, den Karstadt-Tüten-Strauch und Starbucks-Becher-Wiesen.

Am Abend nehmen Silke und Bernd an einer Weinverkostung teil. Während dieser Verkostung haben sie Gelegenheit, ihre Weinkennerschaft unter Beweis zu stellen: Sie loben das Bukett, preisen die Vorteile eines am Südhang sonnengereiften Weines, schwärmen von dem an ihrem Gaumen herabrieselnden Chardonnay – während man ihnen Essig serviert.

6. Urlaubstag:

Silke und Bernd fahren mit ihren Kindern nach Palma de Mallorca. In solch einer Stadt macht ein Stadtrundgang auch Spaß. In ihrem Wohnort Hannover hingegen ist es sehr anstrengend, bis zu den schönen Flecken zu laufen, und dann zu sagen: „Endlich an der Nordsee!“

Während des Stadtrundgangs besuchen sie die hier ansässigen Restaurants. In diesen Restaurants erklären Silke und Bernd den einheimischen Spitzenköchen gewohnheitsgemäß, wie man Hummer so zubereitet, dass dieser genau wie Schweinsbraten schmeckt. 

Silke ist einer der wenigen Menschen, die heutzutage noch einen analogen Fotoapparat verwenden. Sie fotografiert damit in jedem Urlaub ununterbrochen; und wenn die beiden nach einem Urlaub wieder zu Hause sind, dann schaut sich Silke an, wo sie überall gewesen sind. Daumen, Objektiv-Deckel, vorbeilaufender Passant … 

Nach der Stadtführung schreibt Silke Postkarten. Viele Menschen kennen Postkarten überhaupt nicht mehr. Postkarten sind kartonierte DIN-A5-große SMS in Freilandhaltung.

Letzter Urlaubstag:

Silke und Bernd reisen mit ihren beiden Kindern zurück nach Hause. Dabei werden sie von dreisten Taschendieben beraubt. Die Diebe stehlen tatsächlich die Tasche, in der sich all die Handtücher vom Urlaubshotel befinden.

Silke und Bernd beschließen, ihren nächsten Urlaub dort zu verbringen, wo sie sich erholen können: Sie werden warten, bis die meisten Landsleute in den Urlaub gefahren sind, und bleiben zu Hause.

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