Gunnar Schade – Satire-Blog Über Gunnar Schade

30.04.2022

Du wirst auf Deinem Grundstück von einem Nachbarn angegriffen, der numerisch weitaus überlegen als auch schwerbewaffnet ist. Die zuständigen Behörden greifen nicht ein, um zu verhindern, dass sich dieser Nachbarschaftskonflikt auf die ganze Ortschaft ausbreitet.

Was viele Bewohner dieser Ortschaft zu Dir sagen:

„Du solltest auf eine diplomatische Lösung setzen. Dein Nachbar ist für Diplomatie und Argumente zwar ebensowenig zugänglich wie Beton für Poesie, und an jedem weiteren Tag dieses Konfliktes begeht er die abscheulichsten Verbrechen an Dir und Deiner Familie; aber zum Glück gehören wir derzeit nicht zu den Opfern unseres nutzlosen Vorschlags.“

„Du solltest Dich ergeben. Dein größenwahnsinniger Nachbar muss lernen, dass man ihm jedes Grundstück, das er angreift, kampflos überlässt. Wenn er das verstanden hat, dann wird er erst recht auch noch andere Grundstücke angreifen; und infolgedessen wird es zu ebendiesem Konflikt in der ganzen Ortschaft kommen, den Du mit Deiner Kapitulation verhindern wolltest.“

„Wir sind von Deinem Leid nicht unmittelbar betroffen; und deswegen erteilen wir Dir gern Ratschläge zur Konfliktlösung, die so realistisch sind wie Ratschläge an Greuther Fürth zum Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft. Dabei übersehen wir die Tatsache, dass es – so traurig und tragisch dies auch ist – Situationen gibt, in denen man kämpfen muss. Nach unserer Überzeugung hätte Hitler, wenn die Alliierten nicht eingeschritten wären, den Zweiten Krieg in der ganzen Ortschaft aus Mitgefühl mit dessen Opfern beendet, danach das Buch ,Mein Kampf für die Abschaffung des unsinnigen Rassebegriffs’ geschrieben und den Verein zur Förderung der arisch-jüdischen Freundschaft gegründet.“

„Deine einzige Möglichkeit, Dich gegen Deinen uneinsichtigen und schwerbewaffneten Nachbarn zu verteidigen, besteht darin, Dir schwere Waffen zu liefern; doch wir sollten dies nicht tun. Mit der Lieferung von Waffen provoziert man diesen größenwahnsinnigen Nachbarn möglicherweise zu etwas, was dieser ohnehin tun wird.“

„Man sollte Dich nicht zur Selbstverteidigung befähigen; denn es ist bekannt, dass Du Steuern hinterzogen hast. Und wenn man allen Menschen, die Steuern hinterzogen haben, auch im Fall eines grausamen Angriffs nicht beistünde, dann gäbe es im Ort endlich sehr viele freie Grundstücke.“

„Wir raten Dir, absoluten Pazifismus respektive gewaltfreien Widerstand zu praktizieren. Absoluter Pazifismus respektive gewaltloser Widerstand bringen zwar überhaupt nichts gegenüber einem angreifenden Nachbarn, der auch erkennbar unbewaffnete Zivilisten erschießt und massenhaft Frauen vergewaltigt und eine Geburtsklinik bombardiert. Aber wir erteilen Dir schließlich Rat, während wir auf einem friedlichen Grundstück leben, auf dem man absoluten Pazifismus deswegen ohne persönliche Nachteile fordern kann, weil in den vorangegangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten Menschen bereit waren, für solch ein friedliches Grundstück zu kämpfen.“

„Es ist falsch von Dir, auf absoluten Pazifismus zu verzichten, nur weil Deine Frau vergewaltigt und Deine Kinder getötet und all Deine Eigentümer zerstört werden. Viele von uns verzichten auf ihre pazifistische Einstellung nur, wenn im Supermarkt WC-Papier und Sonnenblumenöl knapp werden.“

„Man sollte Dir keine schweren Waffen liefern, denn Du bist nicht Mitglied in dem Nachbarschaftsbündnis NATO (Nachbarschaftliche Allianz gegen Totalitäre Ochsen). Wenn wir auf der Straße an einen Unfallort kommen, an dem sich ein schwerverletzter Mensch befindet, dann lassen wir diesem Menschen selbstverständlich auch nur geeignete Hilfe zukommen, wenn er Mitglied beim DRK ist.“

„Da wir nicht miterleben müssen, wie Angehörige unserer Familie erschossen oder vergewaltigt oder verstümmelt werden, beharren wir empathiefrei auf unserem absoluten Pazifismus, dem große Vorteile innewohnen: zum einen braucht man auch angesichts unsäglicher Grausamkeiten gegenüber einem Nachbarn nichts zu tun, und man kann sein Gewissen für diese unterlassene Hilfeleistung mit Scheinmoral belügen. Zum anderen bietet er die Gelegenheit, uns auch gegenüber den Menschen moralisch überlegen zu fühlen, die genau wie wir den Dritten Krieg in der ganzen Ortschaft verhindern und Dir gerade deswegen mit den Waffenlieferungen bei Deiner rechtmäßigen Verteidigung helfen möchten. Diese scheinbare moralische Überlegenheit verkennt folgendes: Den Frieden zu lieben bedeutet, niemals andere Menschen oder Lebewesen anzugreifen und angesichts eines Konflikts so lange wie möglich eine friedliche Lösung anzustreben. Den Frieden zu lieben bedeutet nicht, Unrecht und Grausamkeiten gegenüber anderen Menschen zuzulassen.“

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