Gunnar Schade – Satire-Blog Über Gunnar Schade

04.05.2023

I

Viele behaupten, es gäbe keine absoluten Wahrheiten. Zahlreiche wissenschaftliche Dinge lassen sich tatsächlich nicht eindeutig klären:

Sind die Gehirne von AfD-Politikern so klein wie ein Natrium- oder wie ein Wasserstoffatom?

Was war zuerst da? Starbucks oder Steuerbetrug?

Und wer erfand das Saarland als Maßeinheit für Waldbrände und Ölteppiche?

Die Behauptung, es gäbe keine absoluten Wahrheiten, ist jedoch falsch. Absolute Wahrheiten gibt es in humanistischen Dingen: Zum Beispiel hat kein Mensch das Recht, andere Menschen wegen deren Geschlecht, Herkunft oder sexueller Identität zu diskriminieren.

Dazu gibt es keinen anderen Standpunkt, der berechtigt ist. Niemals wird sich herausstellen, dass Frauen weniger wert sind als Männer.

Niemals wird jemand einen Beweis entdecken, dass Menschen mit schwarzer Haut weniger wert sind als Menschen mit weißer Haut.

Und niemals wird jemand ein plausibles Argument dafür finden, dass homosexuelle Menschen weniger wert sind als heterosexuelle Menschen.

(siehe Blog-Beitrag vom 10.04.2021)

II

Solche und andere Tatsachen werden jedoch von vielen Menschen als Meinung und damit als scheinbar bestreitbarer Umstand abgetan. Gewiss ist es eine großartige Errungenschaft, dass es in Deutschland Meinungsfreiheit gibt. Leider gibt es neben dem Recht zur freien Meinungsäußerung nicht die Pflicht zum Reflektieren.

So sind zum Beispiel viele Menschen in Deutschland der Meinung, Hertha BSC wäre ein guter Fußballverein – eines der deutlichsten Beispiele dafür, dass viele Meinungen weder auf irgendeinem Beweis noch auf irgendeinem rationalen Argument beruhen.

Bei vielen Themen gibt es nicht eine einzig richtige Meinung. Zum Beispiel beim Thema Alkohol: Zweifellos tut jeder Mensch gut daran, auf Alkohol zu verzichten. Ernährungswissenschaftler und viele andere Menschen streiten aber darüber, wie viel Alkoholkonsum unbedenklich ist. Bei Themen wie Rassismus oder sexuelle Belästigung von Frauen wäre es jedoch in jedem Fall falsch zu behaupten: „Och, ein- oder zweimal in der Woche ist okay.“

Oder:

„In Maßen genossen, ist das in Ordnung.“

Die einzig richtige Haltung ist niemals.

Ein anderes Beispiel aus dem Alltag ist das Thema Fernsehen. Auf Fernsehen kann man ebenso getrost verzichten wie auf Alkoholtrinken. Während Ärzte und andere Menschen aber darüber diskutieren, welches Maß an Fernsehkonsum akzeptabel ist, wäre bei Themen wie Antisemitismus oder Homofeindlichkeit niemals der Einwand gerechtfertigt: „Na gut, aber höchstens eine Stunde am Tag.“

Auch bei Themen wie Vergewaltigung oder Pädophilie wäre niemals das Argument berechtigt: „Du solltest auch mal Verständnis für den anderen haben. Wie kommst du zu der Anmaßung, deine Haltung gegen Vergewaltigung oder Pädophilie sei die einzig richtige Einstellung? Du musst das mal aus einer anderen Perspektive betrachten.“

III

Viele Menschen streiten ebenso darüber, was zum Beispiel Rassismus oder sexuelle Belästigung von Frauen ist. Bei solchen Aspekten dieser Themen gibt es meist auch nur eine einzig richtige Antwort: Wenn zum Beispiel jemand in den Kommentarspalten auf Facebook behauptet, alle Flüchtlinge wären kriminell, dann ist das Rassismus. Menschen anderer Herkunft zu diskriminieren ist keine freie Meinungsäußerung.

Eine fundierte Meinung hingegen ist die Ansicht, die Schlager Roberto Blancos seien die gerechte Strafe für den Kolonialismus.

Unter Deutschen gibt es genauso viele Kriminelle wie unter Menschen aus anderen Ländern; und wer Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe und anderer Merkmale negative Eigenschaften zuordnet oder grundsätzlich als geringerwertig betrachtet, ist ein Rassist. Daran ändert auch nichts die oft verwendete Einleitung: „Ich bin ja kein Nazi, aber …“ Ein Würstchen ist und bleibt ein Würstchen – unabhängig davon, was es sich aufs Etikett schreibt. 

Eine falsche Meinung zu haben ist nicht strafbar; strafbar ist jedoch eine daraus resultierende falsche Tat. Zum Beispiel sexuelle Belästigung von Frauen: Leider kann man nicht die Männer bestrafen, die die falsche Meinung haben, sie könnten bei Frauen machen, was sie möchten. Bestrafen kann man jedoch die Männer, die Frauen aufgrund dieser Meinung begrapschen.

Viele Männer sind der falschen Meinung, ihre Anmachsprüche und Berührungen wären ein Flirt. Ein Flirt ist es jedoch nur, wenn die Frau damit einverstanden ist; solange die Frau kein unmissverständliches Einverständnis signalisiert, ist es sexuelle Belästigung. Falls viele Männer einwenden möchten, dass das Einverständnis der Frau nicht immer eindeutig zu erkennen wäre, dann liegt das am ehesten daran, dass diesen Männern noch nie eine Frau ihr Einverständnis signalisiert hat.

Und da diese Männer die Signale einer Frau offensichtlich nicht zu deuten wissen, sollten sie fortan nur noch den Arsch berühren, bei dem ihnen Wohlwollen sicher ist – sich selbst.

IV

Viele Menschen behaupten, man dürfte heutzutage nicht mehr sagen, was man denkt. Das sind meist Menschen, die im Internet Hasskommentare gegen Flüchtlinge schreiben oder bei öffentlichen Aufmärschen anderen Menschen ungestraft das Ertrinken im Mittelmeer wünschen, indem sie unter anderem „Absaufen! Absaufen!“ brüllen.

Das Problem heutzutage besteht nicht darin, dass man nicht mehr sagen darf, was man denkt, sondern darin, dass viele nicht mehr denken, bevor sie was sagen.

(siehe Blog-Beitrag vom 16.01.2019)

Diese Menschen behaupten, man dürfte heutzutage nicht mehr sagen, was man denkt. Was diese Menschen meinen, ist, dass sie nach ihren Hasskommentaren und menschenverachtenden Parolen aus für sie unerklärlichen Gründen nicht nur Begeisterung, sondern auch Widerspruch erfahren.

Diese Menschen beklagen nach ihrer unberechtigten Hetze, dass es keine Meinungsfreiheit gäbe, und übersehen dabei, dass der von ihnen beanstandete Widerspruch die berechtigte Haltung anderer Menschen und somit Ausdruck ebendieser Meinungsfreiheit ist, deren vermeintliches Fehlen sie beklagen.

Von wegen, man dürfte heutzutage nicht mehr sagen, was man denkt. Es gibt viele Menschen, die indes viel mehr gesagt als jemals nachgedacht haben.

Der medizinische Fachausdruck lautet: wendlern.

Ein Irrtum ist, es gäbe heutzutage mehr Rassismus und Vorurteile gegen Menschen aus anderen Ländern als früher. Rassismus und Vorurteile sind wegen des Internets sichtbarer geworden. Wenn früher jemand eine rassistische Bemerkung geäußert hat, dann haben drei Stammtischbrüder und eine Zimmerpflanze gelangweilt genickt. Wenn heutzutage jemand eine rassistische Bemerkung äußert, dann klicken je nach dessen Reichweite Hunderte bis Tausende Internetnutzer auf den „Gefällt-mir“-Button. – Ein Beweis dafür, dass für das Surfen im Internet viel dringender ein Schein gemacht werden müsste als für das Surfen auf deutschen Seen.

Und all diejenigen, die unter Nachrichten über das Ertrinken von Flüchtlingen oder das Ermorden von Polizisten einen Lach-Emoji setzen, fallen durch den Idioten-Test.

V

Menschen, die rassistische, antisemitische und homofeindliche Ansichten oder Verschwörungsgeschwurbel äußern, sind zu Unrecht davon überzeugt, ihre Ansichten wären genauso berechtigt wie die jeweiligen Gegenargumente.

Die Aussage, die Erde wäre eine Scheibe, ist jedoch nicht genauso berechtigt wie die Aussage, die Erde sei ein kugelähnlicher Planet respektive ein Rotationsellipsoid, der infolge der Erdrotation und der deswegen wirkenden Fliehkräfte am Äquator etwas ausgebuchtet (Durchmesser 12.756 Kilometer) und an den Polen etwas abgeplattet (Durchmesser 12.714 Kilometer) ist.

Und die Aussage, erneuerbare Energien seien ein wirksames Mittel, um den infolge des zu hohen CO2-Ausstoßes entstandenen Klimawandel zu stoppen respektive zu verlangsamen, ist berechtigter als die Aussage, die Bundesregierung bestünde aus Reptiloiden, die die Menschheit angeblich versklaven möchten.

Jeder Mensch kann glauben, woran er möchte; aber ein Mensch, dessen Ansichten den gesunden Menschenverstand anderer dazu bringen, jeden Anti-Stress-Ball mit einer Axt zu atomisieren, hat keinen Anspruch darauf, dass seine Ansichten von anderen Menschen genauso ernstgenommen werden wie Ansichten, bei denen ein IQ bzw. EQ, der größer ist als die Buchstabenanzahl im Sendernamen RTL, von einem angemessenen Wahrheitsgehalt ausgehen kann.

Diskussionen gehören zur Meinungsfreiheit und können zu neuen Erkenntnissen führen. Erstrebenswert ist es jedoch, dass Diskussionen auf einem gewissen Niveau geführt werden: Über unterschiedliche Wege zu einem richtigen Ziel zu diskutieren ist für alle Menschen sinnvoller, als darüber zu diskutieren, ob der Weg zu einem richtigen Ziel eingeschlagen oder der Weg zu einem falschen Ziel beibehalten werden sollte.

Eine Diskussion darüber, wie die Gleichberechtigung der Frauen erreicht werden kann, ist in jedem Fall sinnvoller als eine Diskussion darüber, ob dies überhaupt wichtig sei.

Unterschiedlicher Meinung kann man indes bei nebensächlichen Themen sein. Zum Beispiel bei Musik: Über Xavier Naidoo oder Michael Wendler kann man entweder die Meinung haben, sie seien schlecht, oder, sie seien grottenschlecht.

VI

Daraus, dass es in humanistischen Dingen absolute Wahrheiten gibt (siehe I), lässt sich das Richtige folgern: Jeder Mensch sollte im humanistischen Sinne respektive im Sinne des Gemeinwohls handeln.

Nebenbei kann jeder über die noch ungeklärten Menschheitsfragen nachdenken:

Hat Google die Welt erschaffen; oder entstand die Welt durch die Verdichtung menschlicher Vorurteile?

Warum sehen die Augen der meisten Menschen die Promiwelt in schillernden Farben und den Rest der Welt schwarz-weiß?

Und wann ist endlich Schluss damit, dass der kurzfristige persönliche Vorteil für die meisten Menschen mehr zählt als das Wohl aller Lebewesen?

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